Über das Lügen

 

Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher. – Bertolt Brecht

Die Wirkung der Lüge

Es gibt kaum etwas (zurecht) verpönteres innerhalb von zwischenmenschlichen Beziehungen, als das Erzählen von Lügen. Lügen sind, solange sie im Schatten der Unsichtbarkeit verweilen, von relativ harmloser Natur. Gerade die kleinen Notlügen wir uns so munter jeden Tag einfallen lassen. „Tut mir leid dass ich zu spät komme,  der Bus hatte Verspätung“ – in Wirklichkeit lag die Präferenz doch eher auf dem genussvollen und entspannten Beenden des eigenen Frühstücks. Die Unannehmlichkeiten, die hieraus entstehen sind generell eher harmloser Natur,  selbst wenn sie mal Aufgedeckt werden sollten.

Dennoch sollte man sich des Risikos bewusst sein, welches man mit jedem Lügen eingeht: Es ist eine (mehr oder minder) kalkulierte, schrittartige Unterminierung der eigenen Glaubwürdigkeit. Natürlich wird eine Beziehung beispielsweise nicht gleich aufgelöst, wenn des Partners Lügen dadurch entblößt werden, noch Krümel vom Frühstück auf seinem Bauch zu haben und vom Nachbarn dabei gesehen wurde, wie er erst nach der Abfahrt des vermeintlichen Busses die Wohnung verließ.  Aber – es ist ein kleiner Piekser. Sicherlich kommt es auch auf den Charakter des Gegenübers an, der die Größe und Wichtigkeit der Lügen bemisst und dementsprechend auf sie reagiert, doch wer wird schon gerne zum wiederholten Male für blöde verkauft.

Anders sieht es schon bei den „größeren“ Lügen aus, bei Aussagen und Handlungen, bei denen die Existenz des Gegenübers nachhaltig beeinträchtigt wird. Und da reicht die Verletzung der eigenen Würde schon aus. Der größte Schaden, der jedoch angerichtet werden kann, ist wenn aufgrund einer Täuschung ein Weltbild fehlerhat zusammengesetzt wird. Das bewusste Verbreiten von Fehlinformationen, gerade von Verantwortlichen gegenüber Schiutzbefohlenen kann als Hochverrat betrachtet werden. So gilt das zum Beispiel für einen Politiker, der sein Amt unter Eid angetreten hat und von da an im öffentlichen Auftrag handelt, dass er einer besonderen Verpflichtung unterworfen ist. Er hat eben innerhalb dieser Verantwortung zu handeln, und seine eigenen, egoistischen Ambitionen unterzuordnen. Nun mag es vorkommen, da wir Menschen ja scheinbar durchaus dazu neigen unseren Ansprüchen manchmal nicht gerecht zu werden, das wir Versagen. Das an sich ist noch verschmerzlich, wir alle haben unsere Schwächen. Aber man sollte doch bitte die Courage aufwenden und ehrlich sein. Das ist eine riesen Herausforderung, dessen bin ich mir bewusst. Aber man sollte dem Gegenüber (dem Schutzbefohlenen, dem Partner, den Repräsentierten, etc.) die Möglichkeit geben, das Handeln zu Evaluieren und eigene Meinung daran zu messen, um dann die nötigen Konsequenzen daraus ziehen zu können.

Lügen wird als Methode jedoch oft akzeptiert

Viele politisch-philosophische Strömungen und Religionen akzeptieren das Lügen als probates Mittel zum Zweck: Das Volk, die Beherrschten, die Anhänger, die Ungläubigen oder wie man sie nennen möchte, sind für Menschen in Machtpositionen immer ein gewisser Gefahrenfaktor. Wenn sie sich organisieren, könnten sie manch einen Plan durchkreuzen und zunichte machen. Oder sie werden einfach als besseres Vieh betrachtet, dem man auch noch einen gefallen damit tut, es anzulügen. Wie könnte ein Proletarier jemals mit einer adelig-akademischen Weltsicht mithalten, mag sich manch einer gedacht haben. Oder: Tut man den Ungäubigen nicht einen Gefallen, wenn man selbst, der ja „im Auftrag Gottes“ handelt, eine Lüge erzählt um einen taktischen Vorteil zu bekommen?

Ich sage: Nein tut man nicht. Man entmündigt und entwürdigt die einzelne Person und nimmt ihr die Möglichkeit, autonom ihr Weltbild zu ergründen und zu bilden. Der Schaden der dabei angerichtet wird, kann immens sein. Vor allem bei den grundlegenden Fragen des Lebens sollten wir ehrlich miteinander umgehen, denn grade hier ist der Mensch bestrebt, ein festes Fundament unter den Füßen zu haben. Und eine absorbierte Lüge, die ein Weltbild eingeflossen ist, ist schwer zu korrigieren.

Aber zum Glück hat der Ire George Bernard Shaw ein paar Worte des Trostes für jeden, der einmal durch das entlarven einer Lüge entblößt wurde:

Die Strafe des Lügners ist nicht, dass ihm niemand mehr glaubt, sondern dass er selbst niemandem mehr glauben kann.

Ich glaube hier ist einiges dran. Jemand der selber im Leben noch nie gelogen hat und sich somit eine gewisse Form von Unschuld bewahrt hat, geht sicherlich etwas unbeschwerter durchs Leben, als jemand, der sich selber so in seine eigenen Lügenmärchen so sehr verstrickt hat, dass er ständig fürchten muss, sein Kartenhaus fiele zusammen und darüber hinaus niemand anderem mehr über den Weg traut.

Der Unterschied vom Lügen sagen und lügen

Zu guter letzt möchte ich nochmal auf einen Unterschied aufmerksam machen, der nicht zu kurz kommen möchte: Das bewusste im Vergleich zum unbewussten Lügen. Bisher wurde hier das bewusste Lügen behandelt, eben das aktive Verbreiten von Unwahrheiten.

„Wer seinem Gedächtnis nicht völlig trauen kann, der sollte sich vorm Lügen hüten“ – ist ein Bon Mot, welches Montaigne schon 1580 kannte und zeigt auf, dass Lügen schnell gesagt werden können, da zum Beispiel das Erinnerungsvermögen eines Greises beispielsweise dazu neigt, mit dem Alter zu verstauben und Geschichten schnell etwas durcheinander geraten. Dieses Sagen von Lügen ist dem unabsichtlichen Erzählen dediziert und hat nichts mit dem Akt der bewussten Täuschung, des lügens zu tun.
Da hierbei keine Absicht vorliegt, sollte man einem solchen Verhalten wohlwollend gegenüber auftreten und dem Gegenüber vielleicht freundlich die Schulter tätscheln und Mut zusprechen. Vergebung und Nachsehen hat noch niemandem geschadet.

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